Gehirn und Computer

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Der Irrtum vom künstlichen Gehirn

In den Computerwissenschaften ist die Idee vom menschlichen Gehirn als komplexem Computer ein gängiges Klischee. Einige besonders abgehobene Denker (z.B. Hans Moravec, Kurzweil Ray, Wissenschaft und Anmaßung) glauben sogar, dass sich Computer in die Evolution einfügen und die nächste Entwicklungsstufe nach dem Menschen darstellen. Dabei könnten die beiden Konzepte für die Verarbeitung von Informationen nicht unterschiedlicher sein. Das heißt nicht, dass Materie nicht die Fähigkeit haben kann, Bewusstsein zu entwickeln: biologische Gehirne beweisen schließlich die Existenz von Bewusstsein... und es wurde bisher keine Spur von einem wie immer gearteten "geistigen" Überbau gefunden - das "Fleisch" alleine scheint zu genügen, wenn es nur eine sinnvolle, sich selbst organisierende Struktur aufweist.

Aber hier darf bezweifelt werden, dass es der Forschung und Technik jemals gelingen wird, diese Struktur im "technischen" Sinne planvoll nachzubauen. Die These: Selbstorganisation und technische Vorhersagbarkeit sind nicht vereinbar!

Computer

Der Computer ist eine sequenziell arbeitende Turingmaschine. Er kann vorgegebene Anweisungen Schritt für Schritt als linearen Prozess abarbeiten. Die Anweisungen sind im Computer als elektrisches Muster abgelegt, das jedoch nicht als Ganzes in Erscheinung tritt, sondern sequenziell. Dieses Muster kann nur sehr begrenzt und nur nach genauen Regeln verändert werden, ohne die Gesamtfunktion zu gefährden. Manchmal genügt die Veränderung eines einzigen Bits - und Nichts geht mehr. Das Programm stellt jede Anweisung als Datensatz zur Verfügung. Die Datensätze bestehen je nach Computersystem aus unterschiedlich vielen Informationseinheiten (Bits). Die Anzahl der Bits, die gleichzeitig an den Computerkern, den Prozessor, übermittelt werden können, hängt vom sogenannten "Bus" ab. 64 bit sind heute üblich. Die technische Meisterleistung in den letzten Jahren bestand darin, die Geschwindigkeit der Schrittfolgen um Größenordnungen zu steigern. 2 GHz sind heute Standard (2.000.000.000 Takte/Sek). Mit dieser hohen Geschwindigkeit gelingt es, sehr viele Anweisungen in kürzester Zeit abzuarbeiten - aber immer eine nach der Anderen!

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Das Gehirn

Unser Gehirn arbeitet dagegen äußerst behäbig. Ab etwa 20 Bilder/Sekunde sind wir nicht mehr in der Lage, die Einzelbilder eines Films zu differenzieren. Das heißt unsere innere, wahrnehmbare "Taktfrequenz" liegt irgendwo im Bereich von 20 Hz. Die Verarbeitungsgeschwindigkeit der untergeordneten Hirnareale ist höher, liegt aber immer noch um Größenordnungen unter der von Computern. Aber das Gehirn arbeitet parallel und nicht sequentiell. Während ein 64-bit Computer 64 Informationszustände gleichzeitig bearbeiten kann, verfügt das menschliche Gehirn über Billionen Nervenzellen, die jede über tausende Verknüpfungen mit anderen Zellen verbunden sind. Diese Zellen erhalten gleichzeitig über Millionen Kanäle Signale von außen: über Sinnesorgane und aus dem Inneren des Körpers. Diese eingehenden Signale werden von unseren Gehirnzellen gleichzeitig (parallel) registriert. Unser Nervensystem verarbeitet die eingehenden Sinneseindrücke nicht schnell - aber es verarbeitet unzählige Informationen im selben Augenblick. Damit nimmt es die "Wirklichkeit" mit einer technisch unerreichten Vielfalt und Differenziertheit war. Gleichzeitig werden diese eingehenden Informationen durch unzählige Erfahrungen und Prägungen erweitert, vervollständigt oder modifiziert. Es entsteht ein mit keinem heutigen Computer auch nur annähernd reproduzierbares neuronales "Muster" eines Augenblicks einschließlich der Geschichte des wahrnehmenden Gehirns.

Ein System zur Mustererkennung

Alle empfangenen Signale bilden in unserem Gehirn ein komplexes 3.dimensionales Muster aus neuronal aktiven Verbindungen. Dieses Muster repräsentiert genau einen Zustand der Wirklichkeit bestehend aus Signalen unserer Umwelt und dem inneren Zustand des Individuums. Zusätzlich wird dieses Muster wenige Sekunden im Gehirn gehalten, sodass nicht nur der einzelne Augenblick sondern ein kleiner zeitlicher Ausschnitt aller Augenblicke in diesen vergangenen Sekunden in unserem Gehirn präsent ist. Die Aufgabe des Gehirns besteht nun darin, aus diesem Eingangsmuster ein Ausgangsmuster zu erzeugen, das den Menschen in einen Zustand versetzt, der dem augenblicklichen Zustand der Wirklichkeit "angemessen" ist. Das kann die Bewegung von Körperteilen bedeuten, die Veränderung von Stoffwechselprozessen oder einfach ein neues Gehirnmuster - ein "Gedanke".

Das Gehirn ist dabei nicht nur in der Lage, die eingehenden Muster zu modifizieren, sondern es kann diese Muster durch bleibende neuronale Verbindungen physisch bewahren: es speichert Muster unter bestimmten Voraussetzungen dauerhaft. Anders als im Computer wird die Information aber nicht in einem speziellen Untersystem abgelegt (gespeichert), sondern sie wird Teil der inneren Struktur des Gehirns und nimmt damit in der Zukunft direkten Einfluss auf die Verarbeitung von eingehenden Mustern.

Die gespeicherten "Muster" bilden zusammen mit angeborenen Strukturen die Basis für die Art und Weise, wie unser Gehirn arbeitet. Die Funktion des Gehirns lässt sich also als Transformation neuronaler Muster beschreiben, die durch die Wirklichkeit bestimmt werden und die Veränderungen unseres individuellen körperlichen Zustandes innerhalb dieser Wirklichkeit zum Ziel haben. Die Bildung der Strukturen ist dabei ein Zusammenspiel aus genetisch gesteuerten Vorgängen und einer durch Wahrnehmungsmuster (also Umwelt) beeinflussten Selbstorganisation der Gehirnzellen. Dies geht weit über einen simplen "Reiz-Reaktions"-Mechanismus hinaus.

Vielleicht funktioniert das Denken selbst auf ähnliche Weise. Hier arbeitet das Gehirn nur mit Mustern die in ihm selbst auftreten und modifiziert sich selbst. Muster, die durch Signale von außen eintreffen, werden ausgeblendet und die Ausgangszustände werden nicht an unseren realen Körper weitergeleitet. Das Gehirn arbeitet sich von einem Muster zum nächsten vor, tastend und vielleicht nur den Zufall nutzend, indem einzelne Zellen willkürlich aktiviert werden, bis sich ein "passendes" Folgemuster einstellt. Was passt und was nicht, darüber entscheidet die Gesamtstruktur des Gehirns zum jeweiligen Zeitpunkt.

Der menschliche Geist, die Seele und das Bewusstsein

Damit ist das menschliche Gehirn durch mindestens 3 wesentliche Randbedingungen definiert:

  1. durch den wahrgenommenen Zustand der Wirklichkeit die den inneren Zustands des Menschen mit einschließt
  2. durch die individuelle Struktur des Gehirns die auf seiner individuellen Geschichte, seinem genetischen Ursprung und seinen physikalischen Eigenschaften begründet ist
  3. durch unseren Körper, der durch den Ausgangszustand des Gehirns verändert wird

Alle drei Ebenen sind untrennbar miteinander verbunden und bilden zusammen die Voraussetzung für den menschlichen "Geist". Die "Programmierung" dieses Geistes erfolgt durch kein höheres Wesen - sondern durch die Wirklichkeit selbst: die unseres Körpers und die unserer Umwelt und das Ergebnis ist ein einzigartiges "Ich".

Dazu ist keine getrennte "Seele" notwendig, wohl aber ein Körper, ein komplexes Gehirn und eine Wirklichkeit, die auf diesen Körper und das Gehirn wirkt. Erst aus dem Dreiklang dieser Beteiligten, entsteht Geist oder Seele - und was noch viel bemerkenswerter ist - es entsteht Bewusstsein, von dem wir nicht einmal ansatzweise wissen, wie wir es beschreiben und fassen können.

Jeder Mensch weiss ohne jeden Zweifel, dass er fühlt, denkt und sich seiner bewusst ist. Trotzdem sind wir nicht in der Lage festzustellen, ob ein anderes Lebewesen - egal ob Mensch oder Tier - über Bewusstsein verfügt. Es gibt keine Möglichkeit zu überprüfen, wie sich der Schmerz, das Glück oder die Farbe anfühlt, die ein anderes Lebewesen wahrnimmt. Trotzdem behaupten nicht Wenige, Bewusstsein würde sich quasi von selbst bei jedem komplexen, rekursiven System einstellen - also auch bei einem genügend komplizierten Computer. Natürlich gibt es für solche Annahmen nicht den geringsten Beleg. Genauso denkbar (und genauso wenig beweisbar) wäre es, dass Intelligenz und Bewusstsein nur mit einem Konzept, ähnlich dem natürlichen Gehirn, realisierbar wären; dass die Umsetzung mit sequenziell arbeitenden Computern - und seien sie noch so schnell - schlicht unmöglich ist. Tatsächlich wissen wir, dass ein vernetztes System - wie unser Gehirn - in der Lage ist, ein prozessuales System (z.B. ein Computerprogramm) zu simulieren: Menschen können in kausalen Schrittketten denken. Es ist aber anscheindend nicht möglich, ein vernetztes System wie z.B. ein biologisches neuronales Netz durch einen linearen Prozess zu simulieren. Alle Versuche, diese Strukturen nachzubauen, gehen deshalb den Weg der Parallelität.

Vielleicht können wir irgendwann künstliche Gehirne schaffen, die denken und lernen, autonom und selbstbestimmt im Rahmen ihrer physischen Möglichkeiten - nur um dann festzustellen, dass wir sie niemals verstehen werden, dass sie uns fremder sind als jedes fühlende Lebewesen auf diesem Planeten.

Mythos virtuelle Realität

Betrachtet man das beschriebene Modell des Gehirns als musterverarbeitende "Maschine", so erweist sich der moderne Mythos der virtuellen Realität schnell als technischer Unsinn:

Die Idee der "virtuellen Realität" geht davon aus, dass es prinzipiell möglich ist, dem Gehirn von außen eine simulierte Wirklichkeit vorzugeben. Bisher geschieht dies, in dem uns über Augen, Ohren und in teuren Simulatoren durch das Gleichgewichtsorgan eine künstliche Wirklichkeit vorgespielt wird. Tatsächlich sind die Ergebnisse beeindruckend - wenn man sie mit dem Blick eines Theaterbesuchers sieht, der sich bewusst auf die Simulation der Wirklichkeit einlässt. Ohne diesen "Blick" ist diese Scheinrealität nicht viel näher an der Wirklichkeit als jeder Film. Zudem werden die physischen Empfindungen wie Gleichgewicht, Kälte und Wärme, Gerüche oder Wind ausschließlich "real" durch wirkliche Lageveränderung, Temperatur, Geruch und Luftbewegung "simuliert". Von einer virtuellen Realität, die dem Gehirn direkt vorgegaukelt wird, ist man noch sehr, sehr weit entfernt.

Hierzu müssten uns die Informationen direkt über die Nervenstränge eingespeist werden, die unser Gehirn mit Informationen versorgen. Man müsste also Millionen einzelner Signale gleichzeitig generieren. Dies erfordert, dass zunächst der komplette menschliche Körper simuliert wird, um physische Einflüsse von außen korrekt in Nervenimpulse zu übersetzten. Die Signale, die z.B. unsere Haut bei einem Windhauch liefert sind durch die Eigenschaften der Haut, der Behaarung und der Luft bestimmt und ergeben ein komplexes Muster, dass mit dem Windhauch selbst nichts gemein hat. Diese Signale müssen gleichzeitig vorliegen um ein kohärentes Bild der virtuellen Wirklichkeit zu liefern.

Die Übertragung der Signale in unser Gehirn gestaltet sich ebenfalls sehr schwierig. Während die Nervenstränge unseres Körpers über das Rückenmark in das Gehirn geführt werden, gelangen die Signale von Nase, Augen, Ohren und Zunge über eigene Nervenstränge in unser Gehirn. Man hätte es bei der Einspeisung von Informationen also nicht mit einer, sondern mit mindestens 5 Schnittstellen zu tun, die jede einen schweren Eingriff in unser Gehirn erforderten.

Diese grobe Skizze zeigt bereits, wie komplex das Problem der virtuellen Realität ist und das es mit dem uns zur Verfügung stehenden Wissen und unseren technischen Möglichkeiten wohl noch einige Jahrhunderte (und nicht Jahrzehnte) dauern wird, bis wir uns einer Lösung nähern. Wir werden daher wohl noch etwas auf die Matrix warten müssen - vorrausgesetzt, wir verlieren nicht die Lust an solchen Utopien um uns anderen Zielen zu zuwenden.

Trotzdem arbeiten Wissenschaftler fieberhaft an dem Problem. Immerhin schaffen sie es schon eine Motte zur Steuerung eines Roboters zu benutzen [1].

Zur Zeit fördert übrigens die EU ein Forschungsvorhaben zur Erforschung menschlicher Emotionen und zur Entwicklung geeigneter Instrumente zur Erfassung (http://www.feeleurope.org/). Es ist zu hoffen, dass dieses Projekt von ähnlicher Erfolglosigkeit gekrönt wird, wie das der Erschaffung künstlicher Intelligenz.

Mythos "künstliche Intelligenz"

Auch die künstliche Intelligenz ist ein Projekt, dass die Wissenschaft nicht loslässt und die Fortschritte scheinen tatsächlich nicht von der Hand zu weisen: gehende Roboter, Spracherkennung, Bilderkennung, lernende Maschinen. Schaut man sich diese Umsetzungen von künstlicher Intelligenz näher an, so erscheint der Begriff "Intelligenz" jedoch maßlos übertrieben. Alle diese Geräte verfügen nämlich nur sehr begrenzt über eine Eigenschaft, die wir jedem intelligenten Wesen unterstellen: Autonomie. Kein Roboter ist bis heute in der Lage, sich außerhalb einer genau definierten Umgebung frei zu bewegen - eine Fähigkeit, die jede Fliege besitzt. Künstliche Intelligenz, dass sind immer nur Einzelleistungen: Schachspielen, Erkennen von einfachen Körpern, Bildanalyse, räumliche Orientierung. Natürliche Intelligenz ist aber alles gleichzeitig: Schachspielen, Gehen, Sehen, Denken, Forschen, Spielen. Nur wenn man Intelligenz auf rein rationales, streng kausales Denken beschränkt, lässt sie sich mit heutigen Techniken simulieren. Aber natürliche Intelligenz erfordert eben keine genauen Regelvorgaben. Sie tastet sich langsam durch die Wirklichkeit, schafft und verwirft ihre eigenen Regeln, mit denen sie versucht, die geeigneten Antworten auf die Anforderungen eines jeden Augenblicks zu finden.

Wenn die Forschungsvorhaben zur künstlichen Intelligenz eines erbracht haben, dann ist es die Erkenntnis, dass die Intelligenz von Lebewesen bei weitem komplexer ist, als man je für möglich gehalten hat. Die Gehirne von höheren Lebewesen sind weit mehr als einfache Reiz-Reaktionsmaschinen. Sie sind keine Rechenmaschinen, die ein eingebautes Programm abspulen, sondern sie sind hochplastische Gebilde mit Millionen von parallelen Verarbeitungssträngen, die die Wirklichkeit extrem differenziert abbilden und in wenigen Schritten sich selbst und den Zustand der sie umgebenden Körper dieser Wirklichkeit anpassen. Sie haben sich in Millionen Jahren entwickelt: Schritt für Schritt, immer auf dem vorangehenden aufbauend. Niemand hat ein Programm geschrieben, Unterprogramme angehängt, Fehler beseitigt und neue Programmversionen überspielt. Bei kaum einem anderen Organ wird der Unterschied zwischen Natur und Technik deutlicher als beim Gehirn. Alle heutigen Konzepte der Informationsverarbeitung sind grundsätzlich verschieden von diesem Konzept der parallelen Musterverarbeitung. Es erscheint mir daher sehr wahrscheinlich, dass jede "künstliche" Intelligenz zu verschieden von unserer eigenen wäre, um sie überhaupt zu begreifen. Wir sind in der Lage, uns in unsere Mitmenschen hineinzuversetzen - auch eine der besonderen Fähigkeiten unseres Gehirns - wir können uns sogar in fremde Lebewesen begrenzt "einfühlen" aber wie sollen wir ein intelligentes Objekt verstehen, dass mit uns nichts gemein hat?

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Bei all der Euphorie über die Möglichkeiten der digitalen Maschinen werden von vielen die Größenordnungen und die Funktionsunterschiede übersehen, um die es beim Vergleich zwischen Computer und Gehirn geht. Die Grafik zeigt schematisch die Schnittmenge zwischen Computer und dem Gehirn eines Säugetiers. Nur der rote Bereich deckt die heute belegbaren gemeinsamen Fähigkeiten ab - und müsste vermutlich um Größenordnungen kleiner dargestellt werden!.


siehe auch:

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