ChatGPT und Bewusstsein

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Frau Hossenfelder hat ein Video gemacht, in dem sie der Frage nachgeht, ob KI Bewusstsein entwickeln kann [1]. Hier meine Gedanken zu diesem Thema.

Ich schreibe dies, weil ich im Zusammenhang mit den vielen Beiträgen zur aktuellen Entwicklung auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz einen offeneren Blick über die Gebiete der Informatik, Mathematik und Neurobiologie hinaus vermisse. Ich erlaube mir daher ein paar Anregungen zur Weitung des Blickes.

Das Thema KI treibt mich seit den 90iger Jahren um und ich verfolge die Entwicklungen auf diesem Gebiet mit Interesse aber auch mit großer Irritation. Irritation aus folgenden Gründen:

  • die Diskussion wird dominiert von Informatikern, Mathematikern und Roboter-Ingenieuren. Lebenswissenschaftler wie Biologen, Verhaltensforscher und Biochemiker, die sich mit lebendiger Intelligenz beschäftigen, tauchen in diesen Diskussionen eher selten auf.
  • Die Diskussion über KI ist hochgradig antrophzentrisch und orientiert sich seit der Einführung dieses Begriffes vorrangig an menschlichen, kognitiven Fähigkeiten. Schach- und Go-Spielen, Bild- und Spracherkennung und Sprachverarbeitung scheinen das Maß aller Dinge. Sich in einer fremden Umgebung autonom zu bewegen und zu verhalten – wie es jede Biene kann – scheint dagegen nichts mit Intelligenz zu tun zu haben.
  • Es gibt bis heute keinen Wissenschaftsbereich, der systemunabhängigen Fragen der Intelligenz und kognitiven Eigenschaften wie Gefühle, Autonomie, Bewusstsein und Denken nachgeht und Grundlagen für die Identifikation und den Vergleich dieser Eigenschaften liefert. Ist ChatGPT intelligenter als ein Pantoffeltierchen – und wenn ja, warum?


Obwohl der Begriff KI seit den 60iger Jahren verwendet wird, fehlt es auch heute noch an verbindlichen Definitionen und Kriterien. Stattdessen wird ohne Grundlagen und Belege von bewussten Robotern, ChatBots mit Gefühlen und denkenden Maschinen fabuliert. Was mir in diesen Diskussionen fehlt, ist ein Minimum an Bescheidenheit gegenüber der gewaltigen Komplexität des Lebens. Mit der Entdeckung der neuronalen Netze und ihrer (vereinfachenden mathematischen Formulierung) haben wir gerade an der Oberfläche des Denkens gekratzt. Trotzdem wird ohne großen Widerspruch behauptet, man müsse neuronale Netze nur komplex genug strukturieren und schon würde sich Bewusstsein einstellen.


Ich kann dem Gedanken folgen, dass es keine besondere Bewusstseinsebene braucht oder einen Homunkulus in irgendeiner quantenmechanischen Nische, um Denken und Bewusstsein zu ermöglichen. Ich bin aber überzeugt, dass Bewusstsein von der Komplexität eines Systems, seiner Möglichkeiten zur Wechselwirkung mit seiner Umgebung und seinen inneren Optionen zur Wahrnehmung, Interpretation und Veränderungen dieser Wechselwirkungen abhängt.

Und da ist die Komplexität unserer aktuellen maschinellen Artefakte unendlich klein gegenüber der Komplexität von organischen Systemen mit ihrer bis in die Molekülebene reichenden Sensorik, Aktorik und Informationsverarbeitung. Deshalb sollten wir uns Visionen von denkenden und fühlenden Maschinen verbieten und nicht in die Falle Decartes tappen und das Organische und Lebendige arrogant zur “Maschine” entwerten.


Ich kann nicht beweisen, dass dies so ist. Aber ich kann darauf hinweisen, dass reale neuronale Netze nicht einfach da sind, sondern über ein hochkomplexes biochemisches Programm als Teil eines komplexen Organismus aufgebaut werden. Dieses Programm, das aus dem Zusammenspiel eines Protein-Protein-Wirkungs-Netzwerk (PPI-Network) und unserer DNA selbstgesteuert abläuft, haben wir nicht einmal in Ansätzen erfasst und verstanden. Wir sind gerade dabei, in seine Untiefen vorzudringen. Wir können aber sicher sein, dass dieses biochemische Netzwerk das Wissen über die Wirklichkeit von Milliarden Vorfahren über Milliarden Jahre enthält. Ein Wissen das über die Lernschleifen der Evolution in die DNA durch das wirkliche Leben dieser Vorfahren eingeschrieben wurde und nicht durch virtuelle Daten über diese Wirklichkeit.

Organische Gehirne werden nicht nach einem Konstruktionsplan gebaut, sondern wachsen zusammen mit den zugehörigen Körpern genau so, wie es für das Überleben und die Fortpflanzung dieser Körpers in der Wirklichkeit erforderlich ist. Körper und Gehirn sind untrennbar miteinander verwoben und die, während des Wachstums eines Organismus aufgebauten, neuronalen Netze und ihre komplexe Architektur enthalten die Eigenschaften, die sich aus den Anforderungen dieses Körpers ergeben.

Dazu gehören Emotionen, Strukturen zur Auswertung von Sinneseindrücken und zur aktiven Steuerung unseres Körpers und vielleicht Bewusstsein. Wir werden nicht als “leeres Blatt” geboren, sondern mit all den Fähigkeiten, die wir brauchen, um uns in der realen Welt angemessen verhalten zu können. Erst bei der Justierung dieser Fähigkeiten in der aktuellen Realität nach der Geburt beginnen die neuronalen Netze zu lernen, in dem wir mit unserer Umwelt aktiv interagieren, spielen und neugierig forschen.

Die Fähigkeiten, Angst zu haben, sich wohl zu fühlen, Schmerz und Neugier zu empfinden müssen sich Lebewesen nicht in langen Trainingszyklen aneignen. Sie haben sie. Sie müssen also durch die unterlagerten biochemischen Programme manifestiert sein und nicht alleine über die neuronalen Verschaltungen. Wenn wir Bewusstsein, Denken und Fühlen verstehen wollen, werden wir uns nicht auf die oberste Ebene der neuronalen Netzwerke beschränken können, sondern müssen das darunter liegende, weit komplexere Netzwerk aus DNA und Proteinen verstehen.


Ob wir diese Komplexität dann in künstlichen Systemen abbilden können und Systeme mit Bewusstsein erschaffen, ist damit aber völlig offen.

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