Wissenschaft und Barbarei - ein Protokoll

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Wissenschaft wird gerne mit hoher Kultur, Stil und Haltung verbunden. Das Wissenschaft auch zutiefst barbarisch sein kann, zeigt das folgende Protokoll eines medizinischen "Experiments". (Zitat aus SADISTISCHE EINZELTÄTER ODER KOLLEKTIVSCHULD EINES GANZEN STANDES?, 5O JAHRE BERICHTERSTATTUNG ÜBER NS-VERBRECHEN VON ÄRZTEN IN SPIEGEL UND ZEIT; Arnd Schweitzer, 1997, Diplomarbeit an der HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND THEATER HANNOVER, ERGÄNZUNGSSTUDIENGANG JOURNALISTIK, [1])


„Betrifft: Versuche mit Akonnitinnitrat-Geschossen

... Im Beisein von SS-Sturmbannführer Dr. Ding, Herrn Dr. Wimann und dem Unterzeichnenden wurden am 11.9.44 an fünf zum Tode verurteilten Versuche mit Akonitinnitrat-Geschossen durchgeführt. Es handelte sich um Geschosse vom Kaliber 7,65 mm, welche mit dem Gift in kristalliner Form gefüllt waren. Die Versuchspersonen erhielten im Liegen je einen Schuß in den linken Oberschenkel. Bei zwei Personen wurde der Oberschenkel glatt durchschossen. Es war auch später keine Giftwirkung zu erkennen. Diese beiden Versuchspersonen schieden daher aus. Der Einschuß zeigte keine Besonderheiten. Bei einer Versuchsperson war offenbar die Arteria femoralis verletzt. Ein heller Blutstrom entsprang der Einschußöffnung. Jedoch stand die Blutung nach kurzer Zeit. Der Blutverlust hat schätzungsweise höchstens ¾ Liter betragen, war also auf keinen Fall tödlich. Die drei Verurteilten wiesen in ihren Erscheinungen eine überraschende Übereinstimmung auf. Zunächst zeigten sich keine Besonderheiten. Nach 20 bis 25 Minuten traten motorische Unruhe und leichter Speichelfluß ein. Die vergifteten schluckten häufig, später ist der Speichelfluß so stark, daß er durch Hinunterschlucken nicht mehr bewältigt werden kann. Schaumiger Speichel entfließt dem Mund. Dann setzen Würgreiz und Erbrechen ein [...] Nach ungefähr 90 Minuten setzte bei einer Versuchsperson wieder eine tiefe Atmung ein, begleitet von einer zunehmenden motorischen Unruhe. Die Atmung ging dann in eine oberflächliche, jagende über. Gleichzeitig bestand ein starker Brechreiz. Der eine Vergiftete versuchte vergebens zu erbrechen. Um dies zu erreichen, steckte er vier Finger der Hand bis zu den Grundgelenken tief in den Mund. Trotzdem setzte kein Erbrechen ein. Das Gesicht war dabei gerötet. Die anderen Versuchspersonen zeigten schon früh ein blasses Gesicht. Die übrigen Erscheinungen waren dieselben. Die motorische Unruhe wuchs später so stark an, daß sich die Personen aufbäumten, wieder hinwarfen, die Augen verdrehten, sinnlose Bewegungen mit den Händen und Armen ausführten. Schließlich ließ die Unruhe nach, die Pupillen erweiterten sich maximal, die Verurteilten lagen still. Bei einem von ihnen wurden Masseter-Krampf und Urinabgang beobachtet. Der Tod trat nach 121, 123 und 129 Minuten nach Erhalten des Schusses auf.

Zusammenfassung:

Die mit ungefähr 38 mg Akonitinnitrat in Substanz gefüllten Geschosse hatten trotz unbedeutender Verletzung nach etwa zwei Stunden eine tödliche Wirkung. Die Vergiftung zeigte sich etwa 20 bis 25 Minuten nach der Verletzung. Im Vordergrund der Erscheinung standen Speichelfluß, Veränderungen der Pupillen, Verschwinden der Sehnen-Reflexe, motorische Unruhe und starker Brechreiz.

Doz. Dr. Mrugowsky

SS-Oberführer und Amtschef“

(Abgedruckt in: Ärztekammer Berlin (Hg.): Der Wert des Menschen. Redaktion: Pross, Christian und Aly, Götz Berlin, Edition Hentrich 1989 (=Reihe Deutsche Vergangenheit; Bd. 34), S. 355f. Original im Document Center Berlin, Akte „Mrugowsky“.)

siehe auch

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