Wie Medien unser Bild von Wissenschaft prägen

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Anlass

Ein Beitrag im Wissenschaftsmagazin Leonardo (WDR 5) befasst sich ein Beitrag mit der angeblichen Zukunft unserer "Ernährung": "Besser Essen dank Gentest" (Autorin Antje Sieb) [1]. Die Sendung wurde am 1.2.2008 gesendet und war eine Wiederholung vom 24.10.2005.

Die Welt im Jahr 20xx - eine unendliche Geschichte

Dieser Beitrag ist typisch für eine "unterhaltsame" Darstellung von Wissenschaft und Technik in den Medien, der wir zunehmend ausgesetzt sind. In einer gewollt unterhaltsamen Rahmenhandlung (in diesem Fall 20 Jahre in der Zukunft) werden technisch-wissenschaftliche Hintergründe "verständlich" verpackt und mit Zitaten von Wissenschaftlern, Technikern und Industrievertretern hinterlegt. Dazu gibt's ein paar futuristische Hör-Spielereien. Die Zukunft wird natürlich dank Technik immer besser: noch gesünder, noch längere Lebenserwartung, noch genauer! Und sie hat auf alles eine Antwort. Tatsächlich dürfte der Nährwert des Beitrags an Informationen und Wissen unter dem einer Vormittags-Soap liegen. Mit allen Mitteln wird jede Spur von Komplexität getilgt. Alles ist soooo easy.

Die konkrete Geschichte geht so: Eine selten dämliche Mittelklasse-Madam läuft mit ihrer elektronischen Ernährungsberaterin "Cindy" durch einen hypermodernen Supermarkt. Cindy ist ein sprechendes Navigationsgerät für Ernährungsfragen und enthält das gebalte Wissen unserer heutigen "Ernährungsexperten". Gefüttert mit den Daten aus Gentests, Gesundheitchecks und sonstigen Informationen hilft es der gutbürgerlichen Schnalle dabei, sich zwischen 20 Joghurtsorten zu entscheiden oder das richtige Gemüse für Gatten und Kinder einzukaufen. Inhaltlich ist der Beitrag an wissenschaftlicher Schlichtheit nicht zu überbieten. Danach ist es ein Wunder, dass die Menschheit nach 3 Millionen Jahren Entwicklungsgeschichte ohne Ernährungsberater überhaupt noch existiert. Denn eigentlich kann man nur alles falsch machen. Und damit die Hausfrau mit beschränktem Überblick im Jahr 2030 auch ja nix falsch macht, läßt sie sich permanent von ihrem digitalen Besserwisser reinquatschen.

Da hilft nur der Professor

Aber es gibt ja die Wissenschaft - und die hat bekanntlich festgestellt: BLA BLA BLA! Die interviewten Wissenschaftler gefallen sich darin, die Schlichtheit der dargestellten Antworten auf noch schlichtere Fragen mit ihren angeblichen Erkenntnissen und Visionen zu bestätigen. Kein Wort von den kompexen Zusammenhängen zwischen Stoffwechsel, Lebensumfeld, Emotionen, Ökologie, individueller Entwicklung und all den Dingen, die unser körperliches Dasein bestimmen. Aufgezählt werden irgendwelche Stoffe die angeblich für irgend Etwas gut oder schädlich sein sollen - und deren Eigenschaften penibel beim Einkauf beachtet werden müssen, will man nicht vor der Zeit tot umfallen. Da vergleicht ein amerikanischer Wissenschaftler unseren Körper mit einem PKW und fordert auch für Menschen ein eingebautes "Diagnosesystem" - dabei könnten Mensch und Maschine verschiedener nicht sein. Ein anderer behauptet, aufgrund eines Gentests Aussagen zur gesundheitlichen Entwicklung eines Menschen machen zu können. Dabei gibt es gerade einmal erste statistische Verdachtsmomente. Von einem Wissen über die Zusammenhänge kann noch lange nicht die Rede sein.

Betrachtet man unser heutiges medizinisches System, so bestehen 80% der Tätigkeiten aus "Diagnosen" - reale Heilungen werden daraus aber noch lange nicht. Die größten Beitrag für die gestiegene Lebenserwartung in den Industrieländern haben nicht medizinische Produkte geliefert sonder das Wissen um die Notwendigkeit von Hygiene, gesundes Trinkwasser und die Kanalisation in den Großstädten. Sicher helfen uns wissenschaftliche "Produkte" in Einzelfällen: Antibiotika, Impfungen, Chirurgie. Dagegen ist der Einfluss der überwiegenden Zahl der Medikamente auf unsere Gesundheit und Lebenserwartung wahrscheinlich vernachlässigbar. Im Durchschnitt dürfte die Steigerung der Lebenserwartung durch einzelne Medikamente aufgehoben werden durch die verringerte Lebenserwartung aufgrund der Nebenwirkungen anderer Medikament: ein Nullsummenspiel.

Bitte mehr Qualität!

Eigentlich ist es ein Unding, wenn uns in einer "Wissenschafts"-Sendung weiss gemacht wird, wir wären zu so einem instinktiven und grundlegenden Vorgang wie Essen nicht mehr ohne die Assistenz von Wissenschaft und Technik in der Lage. Ein solcher "Journalismus" zeigt eines deutlich: Journalist(inn)en sind als Vermittler von wissenschaftlich-technischen Informationen nur begrenzt nützlich. Ohne ernsthaft erarbeitetes Hintergrundwissen präsentieren sie uns eine Wissenschaft die vor allem einem dient: das Lebensgefühl des mittelmäßigen Durchschnittspießers zu bestärken.

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