Plan und Zufall

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Der Plan in der Technik

Wer sich mit Technik beschäftigt, kommt an ihm nicht vorbei: dem Plan. Kein Schritt in der Technik, der nicht ohne Plan und Pläne vorbereitet, getan oder widerrufen wird. "Planen" ist eine der grundlegenden Tätigkeiten in der Technik. Man plant das Ziel, den Weg und die Mittel. Man plant die Schaffung, die Verwendung und die Vernichtung.

Planen erscheint dem Menschen der industriellen und von der Technik dominierten Gesellschaften so zwingend notwendig, dass ihn eine ungeplante Wirklichkeit in tiefe Verwirrung stürzt. Es muss doch einen "Planer" geben, der sich bei all dem etwas gedacht hat! Und recht haben sie: keine Maschine würde ohne planvolles Wirken funktionieren. Alle Teile müssen passen. Jedes Teil muss sorgfältig konstruiert und ausgeführt werden. Jede Funktion muss genau bedacht - jede Wechselwirkung berücksichtigt werden.

Der große Weltenplan

Und ist die Welt nicht auch eine einzige, riesige Maschine - ein gewaltiges Räderwerk, das nach genau festgelegten Regeln abläuft? Seit es die moderne Naturwissenschaft gibt, propagiert sie das Bild vom Räderwerk der Welt und versucht es zu verstehen. Lange schien alles mechanisch. Doch seit dem Ende des 19. Jahrhundert musste die Idee der mechanischen Welt zunehmend anderen Konzepten weichen: Maxwells Elektrodynamik mit seinen abstrakten Feldern, Plancks Quantentheorie, die Thermodynamik mit ihren statistischen Konzepten und Einsteins Relativitättheorie. Einige Wissenschaftler haben dabei das Bild von der großen, berechenbaren Weltmaschine tief erschüttert. Sie deckten blinde Flecken in der Naturwissenschaft auf, die nicht einfach nur auf mangelndem Wissen beruhen, sondern grundsätzlicher Art sind. Sie zeigten, dass es in der Wirklichkeit Bereiche gibt, die vom Zufall bestimmt werden und sich jedem Determinismus entziehen. Dieser kann zwar angenommen - aber niemals bewiesen werden.

Ja; mach nur einen Plan
sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch´nen zweiten Plan
gehn tun sie beide nicht.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht schlecht genug:
doch sein höch´res Streben
ist ein schöner Zug.

(aus dem "Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens", Berthold Brecht) [1]

Plan und Wirklichkeit

Allen voran Charles Darwin hat mit seinem Prinzip der Evolution einen ersten Hinweis gegeben, dass die Wirklichkeit mehr ist als das Ablaufen eines Räderwerks. Sein simples Prinzip erklärte die unendliche Fülle des Lebendigen ohne Planer und mit wenigen Regeln. Doch diese scheinbar einfachen Regeln genügen bereits, um die Entwicklung des Lebens unberechenbar zu machen. Das Leben - komplexer als jede Maschine, perfekt in jedem Detail - hat sich ohne Plan, nur durch Zufall entwickelt.

Eine weitere Erschütterung musste die Naturwissenschaft mit der Quantenphysik und Heisenbergs Unschärferelation hinnehmen. Die kleinsten Dinge taten etwas, das sie nicht tun sollten und sie waren nicht länger zu fassen. Ob etwas da war oder nicht, war plötzlich eine Frage der Wahrscheinlichkeit - nicht des Wissens. Mit der grundsätzlichen Unmöglichkeit, den genauen Zustand der kleinsten Bausteine der Wirklichkeit exakt zu erfassen, entstand ein blinder Fleck, der uns die Berechenbarkeit der Welt verhagelte.

Und schließlich fand Herr Gödel sogar eine Lücke in der Mathematik. Er konnte beweisen, dass es Aussagen in der Mathematik gibt, die mit der Mathematik selbst nicht zu beweisen sind. Damit war die Vorstellung nicht länger haltbar, die Mathematik sei eine in sich geschlossene logische Konstruktion ohne Fehlstellen.

Kann man Zukunft planen?

Natürlich beschränken sich diese blinden Flecke zunächst auf akademische Bereiche, die für unser reales Leben wenig Bedeutung haben. Sie sind aber entscheidend für die Frage der Planbarkeit der Zukunft. Wer die Zukunft planen will, muss sie kennen. Die Naturwissenschaften versprechen uns, die Zukunft berechenbar zu machen. Sie behaupten zu wissen, was wir tun müssen um Dieses oder Jenes zu erreichen oder zu verhindern. Sie prognostizieren die Herrschaft der Maschinen, den Kampf der Kulturen, das Eintreten des Klimawandels oder dessen Harmlosigkeit. Und sie behaupten, unsere Zukunft, unsere Gesellschaft und sogar uns selbst planen zu können. Gentechniker wollen die Menschen "optimieren". Robotertechniker wollen uns von der Last des Daseins befreien und Computertechniker versprechen uns die Freiheit des virtuellen Lebens. Dabei blenden sie völlig aus, dass sie selbst Teil eines riesigen, komplexen Gewusels sind, das jede Rechnung auf die Zukunft lächerlich erscheinen lässt. Sie überschätzen ihre Möglichkeiten als Planer der Wirklichkeit. Wahrscheinlich ist es für unsere fernere Zukunft vollkommen gleichgültig, ob wir einen Würfel befragen oder einen "Experten".

Wer den langen Weg einer kräftig angestoßenen Billardkugel über 1000 Bande berechnen will, tut gut daran, jedes Elektron am Ende des Universums mit in seine Berechnung einzubeziehen - aber da ist die Quantenphysik davor. Wer die Abläufe in unserer Gesellschaft nachvollziehen will, hat es mit Millionen Billardkugel-Problemen zu tun - eine exakte Beschreibung dieser Abläufe ist damit ausgeschlossen! Auch die Gehirnprozesse, die unser Denken bestimmen, entziehen sich mit ihrer Komplexität jeder exakten Modellierung. Der Mensch ist gerade einmal in der Lage, einzelne Aspekte solcher Systeme zu simulieren.

Zufall und Wirklichkeit

Trotzdem ist das Leben voller faszinierender Lösungen für "technische" Probleme. Dank der Bionik wird zunehmend klarer, wie präzise organische Systeme konzipiert sind, wie optimal ihre Teile auf einander abgestimmt sind. All dies ist aber - mit der Hypothese Darwins - ohne irgendeinen Plan erklärbar.

Die Natur arbeitet nämlich nicht mit Plänen, sondern mit dem Zufall. Sie denkt ein System nicht in allen Details voraus, um es dann zu realisieren. Stattdessen variiert sie ein System in minimalen Schritten, rein zufällig im Rahmen der naturgesetzlichen Gegebenheiten. Sie ändert ein System irgendwie und setzt es der Wirklichkeit aus. Besteht es die Prüfung und existiert trotz der Änderung weiter, wird der Vorgang fortgesetzt. Ein natürliches System bleibt dabei zu jedem Zeitpunkt und bei jedem Schritt "lebendig" - ansonsten würde es aufhören zu existieren. Auf diese Art hat die Natur unendlich komplexe Systeme entwickelt. In der Natur sind Abweichungen nicht zwangsläufig Fehler - sondern sie beinhalten immer die Chance auf eine neue, nützliche Eigenschaft.

"It's not a bug - it's a feature".

Heute behaupten viele Wissenschaftler und Techniker, der Mensch (wer immer der Mensch auch ist!) wäre in absehbarer Zeit in der Lage, ähnlich komplexe Systeme zu schaffen. Besoffen von den gewaltigen technischen Fortschritten des letzten Jahrhunderts glauben sie bereits, die Natur verbessern zu können. Dabei gibt es hierfür nicht den geringsten Anhaltspunkt.

Kein vom Menschen geschaffenes System ist bis heute ohne systematische Planung realisierbar. Aber ich behaupte: ab einem bestimmten Komplexitätsgrad funktioniert "Planen" nicht mehr. Das Verhalten eines solchen Systems ist nicht mehr vorhersehbar. Natürliche Systeme bestehen aus vielen Schichten - beginnend bei einfachen Proteinen und endend in den hoch-komplexen Ökosystemen unseres Planeten. Und diese Schichten sind durch unzählige Verknüpfungen, Rückkopplungen und Regelkreise mit einander verwoben. Das Verhalten solcher Systeme lässt sich - mit viel Erfahrung - gerade einmal statistisch erfassen - wenn man genügend Zeit und Daten hat. Doch diese Herangehensweise bügelt alle Extravaganzen glatt und ignoriert die darin enthaltenen Möglichkeiten zu Extremen.

Exaktes Wissen ist hier definitiv ausgeschlossen. Damit ist aber auch der exakte "Nachbau" solcher Systeme unmöglich. Man kann vielleicht eines Tages Systeme zusammenbauen, die sich irgendwie ähnlich verhalten - aber diese Systeme werden dann ebenso unberechenbar sein, wie ihre natürlichen Vorbilder. Was aber soll dem Menschen eine Technik nützen, die nicht mehr vorhersagbar funktioniert? Oder geht es bei all den hochtrabenden Projekten um künstliche Intelligenz und künstliches Leben, um Marskollonien und Quantencomputer am Ende nur darum, zu beweisen, dass man es kann - darum, ein bisschen Gott zu spielen?

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