Natur und Technik

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Die Naturwissenschaften machen keinen Unterschied zwischen belebter und unbele bter Natur. Das Funktionieren eines Elektromotors hat für sie keine grundsätzlich andere Qualität als das Funktionieren eines Herzens, das Wachsen eines Baumes oder das Sterben eines Huhns. Mit diesem nüchternen Blick unterscheidet sich ihre Sichtweise gravierend von der eines durchschnittlichen Menschen. Intuitiv ziehen wir eine klare Grenze zwischen der Welt der toten und der lebenden Dinge. Doch wie lange noch?

Die modernen Industrienationen haben mit Hilfe der Naturwissenschaften technische Systeme geschaffen, die sich in ihrer Komplexität den lebendigen Systemen bereits spürbar nähern. Computer, hochkomplizierte Maschinen mit unzähligen Sensoren, autonome Roboter - der Mensch ahmt die Natur fleißig nach; auch wenn der Abstand noch gewaltig ist. Und plötzlich entfalten diese technischen Konstrukte eine merkwürdige Wirkung auf die Menschen. Sie erscheinen nicht mehr wie tote Gegenstände, sondern scheinen über ein geheimnisvolles Eigenleben zu verfügen. Wer schon einmal fussballspielenden Robotern zugeschaut hat, weiß was ich meine. Es fällt schwer, diese Maschinen nur noch als Maschinen zu betrachten.

Hier zeigt sich eine Schwäche der menschlichen Urteilskraft. Wir gehen instinktiv davon aus, dass, wenn etwas aussieht wie ein Hund und sich verhält wie ein Hund, dies auch ein Hund ist. In unserer natürlichen Umgebung ist diese Schlussfolgerung auch sinnvoll. In der Welt der Simulation und der virtuellen Welten der Technik führt dies aber zu einem Fehlurteil: der Hund ist kein Hund sondern eine Maschine, ein Computerprogramm oder sonst etwas.

Die Fähigkeit des Menschen, das Wesen eines technischen Konstrukts vollkommen auszublenden und es als lebendiges Wesen zu behandeln hat Joseph Weizenbaum in dem Buch "Die Macht des Computers und die Ohnmacht der Vernunft" ausführlich am Beispiel seines Programms "Eliza" beschrieben. Dieses Programm simulierte die Gesprächsführung eines Psychologen und wurde von vielen Benutzern als realer Gesprächspartner empfunden.

Beunruhigend ist dabei, dass auch ausgewiesene Wissenschaftler und Ingenieure diesen trügerischen Vorstellungen verfallen. Da werden Visionen von der Übertragbarkeit des menschlichen Geistes auf einen Computer propagiert oder die Simulation der Wirklichkeit durch "Virtual Reality": statt realer Menschen - künstliche Avatare. In neuem Gewand erscheint uns hier eine Geisteshaltung, die zum erstenmal im 17. Jahrhundert auftrat: die Idee der Welt als Automat. Einige physikalische Grundgesetze waren gerade formuliert und wurden auf die Welt des Lebendigen angewendet. Erste Erfolge in der Beschreibung physiologischer Vorgänge wie etwa dem Blutkreislauf führten sofort zu unhaltbaren Generalisierungen: Tiere, Pflanzen, Menschen seien nichts weiter als mechanische und hydraulische Automaten - und könnten, wären einmal alle naturgesetzlichen Feinheiten erforscht - durch solche ersetzt werden.

Obwohl wir heute eine Fülle von Erkenntnissen besitzen, die alle die tiefe Kluft zwischen dem Lebendigen und dem Technischen aufzeigen, geistert die Idee der Übertragbarkeit noch immer durch die Köpfe. Die Welten des Lebens und der Technik unterscheiden sich jedoch nicht nur in Details und es gibt bis heute nicht einmal Ansätze dafür, wie die Eigenschaften der lebendigen Welt in die der technischen Objekte transformiert werden könnten. Wie sehr sich Leben und Technik unterscheiden, habe ich in der folgenden Tabelle versucht aufzuzeigen:

Lebende SystemeTechnische Systeme
Lebendige Systeme wachsenTechnische Systeme werden hergestellt
Lebendige Systeme entstehen nach einem Programm, das festlegt, ob und wie jedes Element während des Wachstums modifiziert wird. Das Programm befindet sich als DNA in jedem einzelnen Element eines LebewesensTechnische Systeme entstehen nach einem detaillierten Plan, der festlegt, wie jedes Element hergestellt wird und wie die Elemente zusammengesetzt werden müssen. Der Plan selbst ist nicht Bestandteil der Maschine. Aus dem Einzelteil einer Maschine kann nicht auf die Konstruktion des Gesamtsystems geschlossen werden.
Lebende Systeme bestehen aus den immer gleichen Elementen, den Zellen, die zwar in Funktionen und Eigenschaften modifiziert werden, aber alle auf der selben Grundstruktur und den gleichen Regeln beruhen.Technische System bestehen aus unterschiedlichen, individuell gefertigten Elementen, die sich grundsätzlich unterscheiden.
Lebende Systeme werden durch Reproduktion und Modifikation vorhandener Elemente (Zellteilung) aufgebautTechnische Systeme werden aus vorgefertigten Elementen nach genau vorgegebenem Muster zusammengesetzt
Lebende Systeme sind zu jedem Zeitpunkt ihrer Entstehung im Rahmen des jeweiligen Entwicklungsstadiums und in der jeweiligen Umgebung funktionsfähigTechnische Systeme sind erst funktionsfähig wenn sie vollständig und genau nach Plan zusammengesetzt wurden
Lebende Systeme sind in der Lage, sich zu reproduzierenTechnische Systeme sind nicht in der Lage sich zu reproduzieren
Lebende Systeme sind in der Lage, die erforderlichen Stoffe für die Reproduktion aus ihrer Umgebung zu adsorbieren und zu modifizierenDie Stoffe technischer Systeme müssen außerhalb des Systems beschafft und modifiziert werden.
Lebende Systeme können sich selbstständig reparierentechnische Systeme benötigen zur Reparatur Eingriffe von außen
Lebende Systeme befinden sich in einem kontinuierlichen VeränderungsprozessTechnische Systeme ändern sich nicht selbstständig
Lebende Systeme müssen nur einem Ziel gerecht werden: sich selbst zu reproduzierenTechnische Systeme sind für ein von außen definiertes Ziel konzipiert
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