Explorative Systeme
Aus Wiki1
In dem Buch Die Lösung von Darwins Dilemma wird an vielen Stellen auf die "explorativen" Prozesse bei der Entwicklung eines Lebewesens hingewiesen. Diese Prozesse stehen für Vorgänge, bei denen sich biologische Strukturen - Zellen, Proteine, Organe oder ganze Lebewesen - bilden, ohne das eine Instruktion von außen - ein Plan - notwendig ist.
Die biologisch aktiven Teilchen "wachsen" nach einem eingebauten und teilweise zufälligen Muster solange in irgendeine Richtung, bis sie auf ein spezielles Signal stoßen, für das sie sensibilisiert sind. Beispielsweise bewegt sich eine Ameise auf einem Zickzack-Weg von ihrem Bau weg, bis sie Futter oder Baumaterial findet. Oder das Axon einer Nervenzelle pflanzt sich solange durch den Körper fort, bis es auf einen Muskel stößt, der einen bestimmten Signalstoff abgibt. Explorative Prozesse und Systeme sind in der Natur weit verbreitet. Sie erlauben die Entwicklung stabiler Prozesse und Muster unter variablen Umweltbedingungen. Während ein Plan nur erfolgreich ist, wenn uns das Glück vor unvorhergesehenen Ereignissen schütz, können explorative Systeme auf diese Ereignisse (in Grenzen) reagieren. Obwohl sie teilweise "planlos" abzulaufen scheinen, führen sie doch zu einem sinnvollen Ergebnis. Die Idee des explorativen Systems bedeutet aber keine beliebige Zufälligkeit. Immer ist ein stabil ablaufender, deterministischer Prozess Grundlage eines solchen Systems. Erst die Kombination eines solchen stabilen Prozesses mit einem überlagerten zufälligen, "suchenden" Verhalten schafft ein exploratives System, das in der Lage ist, seine Umwelt zu "erkunden".
In der Technik gibt es explorative Systeme erst seit wenigen Jahren. Wir nennen sie "Roboter". Dabei sind diese "autonomen" Maschinen kaum weiter als archaische Bakterien oder Einzeller. Sie können ihre Umgebung interpretieren (soweit es ihre Sensoren zulassen) und sich in dieser Umgebung bewegen. Darüber hinaus verfügen sie je nach Erfindungsgeist ihres Schöpfers über die eine oder andere Extra-Fähigkeit. Mit all dem können auch Einzeller oder sogar Bakterien aufwarten: sie besitzen "Sensoren" zum Analysieren ihrer Umgebung, sie reagieren auf Nahrung oder Gefahr durch Bildung spezieller Enzyme und manche können sich sogar fortbewegen. All das tun sie ohne Programmierung von Außen. Es ist deshalb reichlich vermessen, wenn im Zusammenhang mit Robotern von "künstliche Intelligenz" die Rede ist. Bestenfalls kann man einen Roboter als intelligentes Design bezeichnen und damit steht er gerade einmal auf einer Ebene mit den ersten Einzellern. Der Weg zum vielzelligen, intelligenten Lebewesen, dass sich aus Milliarden hochdifferenzierten Zellen mit komplexen Strukturen zusammensetzt, ist noch sehr sehr weit. In der Natur dauerte dieser Weg ca. 1,2 Milliarden Jahre. Vielleicht schafft der Mensch die Sache 1.000.000x schneller - dann ist es in 1.000 Jahren soweit.
Auch die meisten höheren Lebewesen nutzen das "explorative" Konzept. Die menschliche Entwicklung von der Geburt bis zum Tod besitzt in der Kindheit einen stark explorativen Charakter. Im Spiel erkundet das Kind seine Umwelt, so wie sie ist. Nur so ist sichergestellt, dass sich der Mensch in seine aktuell gültigen Lebensbedingungen einfügt. Anstatt den Menschen vorauszuplanen - was in einer sich ständig ändernden Umgebung garnicht möglich ist - stattet die Natur ihn mit der Fähigkeit aus, diese Umgebung zu erkunden und sich auf sie einzustellen. Ein Konzept, dass auch in anderen Bereichen Sinn machen würde.
Zum Beispiel in Organisationen und Gesellschaften: Ein Unternehmen, in dem alle geschäftlichen Abläufe streng geregelt sind, ist in seinem Verhalten leicht vorhersagbar - der Traum jedes Geschäftsführers. Ein solches Unternehmen mag in einer zementierten Umgebung erfolgreich sein - aber es ist empfindlich gegenüber unvorhergesehenen Ereignissen in seiner Umgebung. Die Standardlösung von Unternehmenslenkern besteht häufig darin, zu wachsen: wer groß genug ist, dem machen kleine Änderungen in seiner Umwelt nichts aus. Doch manche Ereignisse sind auch für Giganten zu groß - wie die Krise 2009 zeigte. Statt geschäftliche Abläufe in Beton (oder Software) zu gießen, wäre es deshalb häufig intelligenter, sie mit ausreichender Flexibilität für Versuch und Irrtum auszustatten. Dabei kommt es nicht auf die Perfektion der Gestaltung dieser Flexiblität an - die ist nicht planbar - sondern auf die Wahl der richtigen Freiheitsgrade.
das Wabern des Lebens
Durch die großen Fortschritte in der Molekularbiologie, der Physik und der Bioinformatik sind wir heute in der Lage, das Verhalten einzelner Proteine zu simulieren.
Dabei zeigt sich, dass die Selbstorganisation dieser Moleküle ohne das vom Zufall bestimmte Verhalten der sie umgebenden Wassermoleküle nicht verstanden werden kann.
Das heisst, bereits auf molekularer Ebene wird Leben von der Kombination des zufälligen Suchens mit den harten, deterministischen Regeln der Physik bestimmt.