Rationalität
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Rationalität ist ein Begriff, der in den Diskursen moderner, technologisch geprägter Gesellschaften nicht weg zu denken ist. Sie wird als selbstverständliche Grundlage sinnvollen Handelns und guter Entscheidungen betrachtet. Gemeint ist dabei immer ein vernunftgeleitetes, begründbares Denken, das auf logischen und kausalen Strukturen und Argumentationsketten beruht, die in Sprache oder Mathematik vermittelt werden können.
Entscheidungen und Handlungen, die sich nicht auf solche Art begründen lassen, die sich aus unbeschreiblichen Emotionen oder Situationen ergeben werden als irrational und unvernünftig abgewertet.
Rationalität ist die Essenz menschlicher Vernunft. Bis in unsere Zeit war es Ziel der Wissenschaft, alles Irrationale aus ihren Gedankengebäuden zu entfernen, um den reinen Kristall der Wahrheit zu erhalten. Doch ist das Irrationale wirklich irrational? Kann man es einfach herauskürzen ohne sich dabei von der Wahrheit zu entfernen?
Kein Mensch kann leugnen, dass Emotionen sein Handeln und Denken beeinflussen. Sie sind so real wie die Gravitation oder elektromagnetische Kräfte. Ihre "Irrationalität" beruht lediglich darauf, dass wir bis heute keinen mathematisch-logischen Zugang zur Beschreibung dieser Phänomene gefunden haben. Emotionen können wir durch Musik, Filme und Poesie übertragen - aber wir können sie nicht in Kausalketten abbilden und erklären. Aber Emotionen, Phantasie und Träume sind die Grundlage unserer Vernunft, treiben sie an und geben ihre Richtung vor.
Ein Physiker wird ohne irrationale Gefühle für sein Fach (Begeisterung, Neugierde, Faszination) keinen vernünftigen physikalischen Gedanken entwickeln. Und ein Gewalttäter kann überlegt und rational Menschen auf bestialische Weise quälen.
Das hohe Lied auf die Rationalität ignoriert, dass sich unsere vermeintlich irrationalen Eigenschaften in langen evolutionären Prozessen entwickelt haben. Sie sind notwendig für uns als Lebewesen und Grundlage der menschlichen Vernunft. Und sie haben sich - ganz rational - entlang der physikalischen Gesetze der Wirklichkeit entwickelt und sich zusammen mit unserem Körper an sie angeschmiegt.
Das Irrationale im Menschen hat nichts Magisches. Es hat Gründe und ist Folge von Ursachen und Wechselwirkungen in uns und um uns. Hass entsteht nicht einfach aus dem Nichts. Das Menschen hassen und lieben können wurde ihnen in die genetische Wiege gelegt - nicht durch sprachliche Trainingsdaten, sondern durch die reale Welt mit ihren Wirkungen auf die unzähligen Proteine, aus denen wir bestehen.
Es gab und gibt seit Anfang des 20. Jahrhunderts Menschen, die glauben die Welt besser machen zu können, indem sie die Emotionen aus der Welt der Menschen entfernt - durch Züchtung, durch Genetik oder durch künstliche Intelligenz. Und immer wieder sollen Menschen selbst entfernt werden, wenn sie die "falschen" Emotionen haben.
Um dies zu Begründen werden natürlich "rationale" Argumente herangezogen.
Rationalität erfordert Wirklichkeit
Rationalität behauptet, Zusammenhänge in logischen Kausalitäten abarbeiten und daraus "wahre" mit der Wirklichkeit kompatible Entscheidungen ableiten zu können.
Doch bei Lebewesen gibt es nicht die eine Wirklichkeit. Die Wirklichkeit einer Antilope sieht anders aus als die eines Löwen. Die Wirklichkeit eines gläubigen Menschen unterscheidet sich in wichtigen Details von der eines Atheisten. Rationale Argumente bei einem Disput zwischen Individuen funktionieren nur, wenn beide Individuen von der gleichen Wirklichkeit ausgehen. Tun sie das nicht, endet jede Rationalität an den Widersprüchen der beiden Wirklichkeiten.
Wenn der Konflikt zwischen Palästinensern und Israel rational gelöst werden soll, muss zunächst dafür gesorgt werden, dass beide in der gleichen Wirklichkeit leben. Bei den ersten Schritten unterstützt eine menschliche Fähigkeit jenseits der Rationalität: Empathie
Link
https://www.spektrum.de/lexikon/philosophie/rationalitaet/1724