Kahneman Daniel
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Wahrscheinlichkeiten mögen für viele politische und ökonomische Entscheidung wichtig sein - aber für ein Individuum haben sie nur begrenzte Aussagekraft. Der Tod eines Kindes wird nicht dadurch unbedeutend, dass seine Wahrscheinlichkeit vor dem Ereignis sehr, sehr klein war. | Wahrscheinlichkeiten mögen für viele politische und ökonomische Entscheidung wichtig sein - aber für ein Individuum haben sie nur begrenzte Aussagekraft. Der Tod eines Kindes wird nicht dadurch unbedeutend, dass seine Wahrscheinlichkeit vor dem Ereignis sehr, sehr klein war. | ||
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Version vom 15:49, 26. Jul. 2018
Daniel Kahneman ist ein einflussreicher Psychologe, der mit seinen Forschungen zur Verhaltensökonomik einen neuen Blick auf "ökonomische" Entscheidungen jenseits primitiver Markt- und Preismodelle geöffnet hat. Steven Pinker nennt ihn den wichtigsten lebenden Psychologen.
In seinem Buch "Schnelles Denken, langsames Denken" stellt er viele seiner gewonnen Kenntnisse vor. Grundthese ist dabei, dass unser Denken auf 2 Ebenen stattfindet: einer intuitiven und schnellen und einer bewussten aber langsamen.
Dabei verleitet uns die mühelos schnelle Denkebene zu einer vermeintlichen Sicherheit, die in Wirklichkeit nicht vorhanden ist. Tatsächlich leiden wir an vielen Stellen unter "kognitiven Verzerrungen", die uns - ähnlich optischen Täuschungen - die Wirklichkeit falsch interpretieren lassen und deshalb falsche Entscheidungen provozieren.
Gute Entscheidungen erfordern - besonders bei komplexen Fragestellungen - ein rationales und mühsam langsames "Durchdenken", für das wir Menschen nur bedingt geschaffen sind. Wir haben die Fähigkeit - aber ihre Nutzung ist sehr anstrengend.
Kahneman erläutert in dem Buch an vielen experimentell belegten Beispielen, wie wir uns durch unser intuitives Bauchgefühl täuschen lassen und legt Mechanismen unseres Denkens frei.
Leider ist das Buch nicht frei von einer Arroganz gegenüber dem Menschlichen. Anders als Kahneman suggeriert, ist unser Versagen als "Statistiker" kein Defekt - es ist systembedingt und garnicht anders denkbar! Kein Individuum ist in der Lage, in seinem Leben ausreichend statistische Daten sammeln zu können, um relevante Aussagen daraus abzuleiten. Dies erlauben nur große, arbeitsteilige Gesellschaften mit genügend stabilen Umgebungsbedingungen, in denen statistische Untersuchungen und die Ermittlung von Wahrscheinlichkeiten überhaupt möglich sind.
Einzelne Menschen müssen dagegen aus minimaler Informationsbasis ein Maximum an "sicherer" Entscheidungsgrundlage ableiten: 1 überlebter Angriff eines Löwen genügt, um zukünftig vor Löwen Respekt zu haben. Ein 2. überlebter Angriff und wir werden einen Bogen um jede Gegend machen, in der ein Löwe aufgetaucht ist. Eine weitergehende Differenzierung aufgrund von aufwendigen statistischen "Löwenstudien" ist für das Individuum nicht mehr relevant. Wahrscheinlichkeiten mögen für viele politische und ökonomische Entscheidung wichtig sein - aber für ein Individuum haben sie nur begrenzte Aussagekraft. Der Tod eines Kindes wird nicht dadurch unbedeutend, dass seine Wahrscheinlichkeit vor dem Ereignis sehr, sehr klein war.
Hier wird ein grundsätzlicher Qualitätssprung deutlich, der sich zwischen einer globalen, "übermenschlichen" Perspektive und dem individuellen Blick des Einzelnen auf die Wirklichkeit erhebt. Beide Perspektiven haben ihre Berechtigung und Relevanz - aber sie erlösen uns nicht von der Notwendigkeit, Konflikte auszutragen. Es mag aus der Perspektive des großen Statistikers sinnvoll sein, verfügbare Ressourcen für die Rettung möglichst vieler Menschen zu nutzen, auch wenn dann Einzelne untergehen müssen, weil ihre Rettung zu "teuer" wäre. Aber es wird wohl kein Individuum geben, das die Verweigerung seiner Rettung klaglos hinnehmen würde, nur weil sie zu teuer ist.
(Thinking, Fast and Slow. Farrar, Straus and Giroux, 2011, ISBN 978-0-374-27563-1. Auf Deutsch erschienen als: Schnelles Denken, langsames Denken. Siedler Verlag, 2012, ISBN 978-3-88680-886-1.)