Wissensgesellschaft

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In den letzten Jahrzehnten wurde von vielen Trendologen, Politikern und Medienvertretern das Zeitalter der Wissensgesellschaft beschworen. Gleichzeitig mahnen Politiker den Bildungsnotstand an, Industrievertreter beklagen die Unbildung des Nachwuchses und die Medienindustrie überhäuft uns mit "Wissen spendenden" Produkten.

Wissenschaft am Kiosk

Tatsächlich beruht unsere moderne Industriegesellschaft mit ihren unglaublichen technischen Möglichkeiten auf einer jahrhundertelangen naturwissenschaftlichen Entwicklung und erfordert Menschen mit technisch-naturwissenschaftlichem Wissen und mit der Fähigkeit, dieses Wissen kreativ anzuwenden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Industrie beim aktuellen Ingenieurmangel nervös wird.

Gleichzeitig benötigen die Industriegesellschaften aber auch möglichst viele Konsumenten um die wunderbaren technischen Produkte verkaufen zu können. Ein Hauptargument für den Verkauf ist dabei immer wieder die "Erleichterung des Alltags". Da nun aber - zumindest für die kaufkräftigen Mittelschichten und Eliten der Industrieländer - die körperliche Anstrengung im Alltag kaum noch eine Rolle spielt, hilft uns die Industrie bei der Entlastung von geistiger Mühsal: Computer rechnen für uns, erledigen lästige Routinen und nehmen uns Entscheidungen ab. Sie helfen bei der Bedienung komplizierter Geräte und der Beherrschung noch komplizierterer Systeme.

Und weil das - dank kluger Ingenieure und Wissenschaftler - recht gut funktioniert, braucht der durchschnittliche Konsument keineswegs irgendwelche technische Kenntnisse um die Produkte zu nutzen. Im Gegenteil: für die Nutzung moderner technischer Geräte ist kaum noch technisches Wissen notwendig. Tatsächlich ist die "Technik" bei vielen Geräten kaum noch wahrnehmbar - oder was sieht man, wenn man einen MP3-Player öffnet? Die technische Kompetenz der Konsumenten ist deshalb heute deutlich schlechter als noch vor wenigen Jahrzehnten. Kinder, die tagtäglich hochkomplexe Maschinen wie z.B. einen Computer bedienen, wissen nichts über die Eigenschaften eines simplen Stromkreises.

Dabei kann man den Konsumenten keinen Vorwurf machen. Moderne Technik ist heute so kompliziert und verschachtelt, dass sie nicht einmal mehr von den Experten als Ganzes überblickt und verstanden werden kann. Von der Anschaulichkeit der Anfänge der Naturwissenschaften und Technik ist nichts mehr geblieben. Der Weg vom Transistor zur modernen Prozessorarchitektur ist weit schwerer zu bewältigen als der Weg vom Ohmschen Gesetz zum Transistor obwohl der erste gerade mal 30 Jahre, der zweite aber 100 Jahre umfasst.

Die moderne "Wissensgesellschaft" verstopft sich ihre eigenen Quellen. Sie hält Menschen nicht dazu an, sich mit komplizierten und komplexen Zusammenhängen - ob technischer, kultureller oder wissenschaftlicher Art - ernsthaft auseinanderzusetzen, sondern versteht "Wissen" als Event, das sich in Shows, Themenparks, Seminaren und Publikationen unterhaltsam vermarkten lässt oder mit dem man sich im beruflichen oder gesellschaftlichen Umfeld kurzfristig profilieren kann.

Die Mühsal der Wahrheitssuche, das Ringen um Erkenntnis und die Fustration des Scheiterns wird den Konsumenten dabei vorenthalten. Komplexität existiert nicht: alles ist erlernbar! Versprochen wird der "Nürnberger Trichter", das wohlfühlige Lernen, das Verstehen im Schlaf. Tatsächlich werden wir mit lexikalischem Wissen überschüttet. Google traktiert uns mit Informationsquellen zu beliebigen Themen und verbreitet das Gefühl unendlich verfügbaren Wissens. In unzähligen Seminaren wird uns versprochen, jedes beliebige Thema ließe sich in 3 Tagen aneignen. Und zuletzt geben Dieter Bohlen&Co. der Idee anschaulich den Todestoß, es erfordere Wissen und Bildung, um erfolgreich zu sein.

Die angebliche "Wissensgesellschaft" ist vor allem in einem gut: in der Simulation von Wissen. Aller Orten präsentieren sich Experten, Coaches und Ratgeber, die uns die Welt erklären wollen aber niemand ist in der Lage, deren "Expertentum" ernsthaft zu überprüfen - weder Öffentlichkeit noch Fachleute. Am Ende entscheidet wer am "klügsten" wirkt oder wer in seiner fachlichen Peergroup den Ton angibt.

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